Xi’an (西安)- die Stadt des ersten Kaisers

Xi’an liegt relativ weit im Norden Chinas, weshalb uns die Stadt mit frostigen Temperaturen, gleichzeitig aber glücklicherweise auch mit einer gehörigen Portion Sonnenschein in Empfang nahm. Xi’an ist die Stadt des ersten Kaisers, der Ausgangspunkt der Seidenstraße und allein deshalb ein Ort reich an kulturellem und geschichtlichen Gut, weshalb sie das perfekte Schlusslicht unserer Rundreise zu sein schien.

IMG_0999Die Stadtmauer Xi’ans (西安城墙) ist fast vollständig erhalten und dank regelmäßiger Renovierungsarbeiten in sehr gutem Zustand. Entscheidet man sich für einen Spaziergang der insgesamt 13,6 km langen Wege, kann das gut mehrere Stunden dauern, bedeutet allerdings auch den Menschenmassen der Innenstadt für eine Zeit lang entfliehen zu können. Schlendert man die Mauer entlang, hat man nicht nur einen Blick auf die modernen Hochhäuser in der Umgebung, die einen so starken Kontrast zu der altertümlichen Mauer bilden, sondern kann auch immer wieder Teile der Altstadt überblicken oder entdeckt den ein oder anderen Tempel. Man sieht die Stadt einfach von einer anderen Perspektive und erhält so einen ganz neuen Eindruck der Stadt. Die Wege sind so breit und ebenmäßig, dass man sogar Fahrräder leihen kann, um die Stadtmauer zu erkunden. Da dies für 120 Yuan allerdings kein wirklicher Schnapp ist, entschieden wir uns für einen Fußmarsch.

Besonders bekannt ist Xi’an für seine Terrakotta Armee (兵马俑), die bei ihrem zufälligen Fund 1974 bei Historikern der ganzen Welt Fragen aufwarf. Es handelte sich dabei um die Grabstätte Qin Shi Huang (秦始皇), der im Alter von 13 Jahren Arbeiter aus dem ganzen Land damit beauftragte diese zu errichten. Bis zu 700.000 Männer sollen gleichzeitig an der Herstellung der Terrakotta Soladaten gearbeitet haben, die die Aufgabe hatten den damaligen Qin König nach dem Tod im Jenseits zu beschützen. Allerdings sollte niemand von der Existenz der Soldaten wissen und so wurden die lebensgroßen Tonsoldaten in keiner zeitgenössischen oder späteren Aufzeichnung erwähnt, weshalb ihr Fund bis heute als eine Sensation gilt. Seit über vierzig Jahren arbeiten Archäologen nun schon an den Ausgrabungen und haben bis heute über 3000 Soldaten und Pferde ausgegraben, wobei allerdings schätzungsweise über 5000 weitere Figuren im Erdreich verborgen sind. Leider war die Ausstellung ziemlich stark besucht, sodass man ständig von anderen Touristen angerempelt wurde. Trotzdem sind die Ausgrabungen ziemlich sehenswert, sind ein großes Stück Kultur und ist man einmal in Xi’an würde ich sie mir auf jeden Fall anschauen. Den weiten Weg nach China nur für diese Ausgrabungen würde ich allerdings nicht auf mich zu nehmen, wie es viele Menschen tun. Zum Ausgrabungsort der Terrakotta Armee kommt man ganz leicht mit dem Bus 306, der vom Busbahnhof am Osttor der Stadtmauer abfährt.

Die Seidenstraße brachte nicht nur Wohlstand, sondern auch viele kulturelle Einflüsse des Westens nach Xi’an. So etablierte sich nicht nur der Buddhismus aus dem heutigen Indien, auch der Islam fand seinen Weg nach China. IMG_0966Das muslimische Viertel umfasst deshalb einen großen Teil der Stadt und läuft man dort durch die Straßen, hat man den Eindruck eine andere Welt zu betreten. Die Beschriftungen sind sowohl auf chinesisch als auch auf arabisch, der Geruch von Lamm, frisch gepresstem Granatapfelsaft, ofenfrischem Brot und Gewürzen liegt in der Luft und man fühlt förmlich wie orientalische Einflüsse in diesem Teil der Stadt gewirkt haben. Diese Facette Chinas hatte ich bisher noch nicht gesehen, hatte bisher nicht einmal gewusst, geschweige denn geahnt, dass es sie überhaupt zu entdecken gibt. Ich fühlte mich wie auf einem türkischen Basar, einem Basar auf dem Chinesisch gesprochen wurde und konnte mich kaum satt sehen an den ganzen neuen und außergewöhnlichen Delikatessen der Muslime. Joshua war ganz aus dem Häuschen, denn hier gab es etwas, wonach er sich schon lange Zeit sehnte: Döner! Zwar war es nicht unbedingt ein Döner im klassischen Sinne, wie wir ihn aus Deutschland kennen, doch das mit Lammfleisch und Kräutern gefüllte frisch gebackene Brot kam dem Ganzen sehr viel näher als jedes andere Gericht in China. Ich begnügte mich inzwischen mit dem frischen Granatapfelsaft und probierte zudem einen süßlichen Reiskuchen am Stiel, der mit verschiedenen Blüten garniert war. Allein für die kulinarische Vielfalt in diesem Viertel lohnt es sich dort einmal vorbeizuschauen. Ich verspreche euch: nirgendwo sonst auf der Welt spürt man die heutigen Einflüsse der Seidenstraße wie hier.

Neben den muslimischen Delikatessen ist Xi’an außerdem für ihre Biangbiang-Nudeln bekannt. Sie fallen besonders durch ihre Länge und Dicke auf und werden traditionell mit ein paar Fleischwürfeln, Tofu, Kräutern, Sojasoße und Chili gegessen. Heute gibt es die Nudeln allerdings in allen möglichen Variationen, wie hier beispielsweise mit Tomaten und Ei. Das Schriftzeichen „Biang“ ist das Schwerste aller chinesischer Zeichen und besteht aus rund 40 Strichen. Es wird so selten benutzt, dass man es nicht mal mit dem Computer eingeben kann, weshalb ich es einmal aus meiner Schüssel abfotografiert habe. Seine Herkunft ist ebenso unbekannt, wie seine genaue Bedeutung. Stilistisch gesehen kann man sagen, dass es sich um eine Art Topf handelt, in dessem Inneren sich alle Zutaten einer guten Biangbiang Nudelsuppe befinden. Dies ist natürlich nur eine von vielen Interpretationen und auch wenn wir die Wahrheit nie erfahren werden: lecker waren die Nudeln auf jeden Fall! Dazu wird in Xi’an eine Art Limonade gereicht, die geschmacklich wohl am Ehesten mit einer nicht so süßen Variante der Orangen Fanta verglichen werden kann.

 

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Ebenfalls sehr sehenswert ist der Drumtower (西安鼓楼), der südlich des muslimischen Viertels liegt. Wir hatten Glück und betraten den Turm, der nebenbei bemerkt die größte Trommel der Welt beherbergt, genau zur richtigen Zeit, um ein kleines Konzert bestaunen zu können. Läuft man die Treppen bis zur Spitze des Turmes, hat man außerdem einen ganz schönen Blick auf die Stadt. Allerdings blickt man die meiste Zeit auf Einkaufszentren, liegen die Türme doch beide im Zentrum der Stadt, wo auch die Shopping-Meile angesiedelt ist.

IMG_0931Etwas schöner und altertümlicher sind da doch die kleine und die große Wildganspagode. Da ich mich über die Entstehung ihrer Namen wunderte, hatten diese doch so gar nichts mit dem Aussehen einer Wildgans gemein, fragte ich meinen lieben Freund Google und stieß auf eine sehr witzige Sage. Laut dieser soll es vor vielen Jahren eine sehr schlimme Hungersnot gegeben haben, woraufhin ein buddhistischer Mönch nach seinem Gebet gen Himmel rief: „Wir haben Hunger und Buddha sollte das wissen.“ Daraufhin fiel eine Wildgans aus einem Schwarm, der gerade über das Kloster flog, tot zu Boden. Da die Mönche befürchteten, Buddha selbst habe sich so eben für sie geopfert, errichteten sie der Wildgans zu Ehren an genau dieser Stelle eine Pagode. Wenn das keine nette Geschichte ist, weiß ich auch nicht.

Xi’an ist wohl eine der vielseitigsten Städte, die ich jemals besucht hab. Die Stadt hat zudem zahlreiche geschichtliche Sehenswürdigkeiten zu bieten, die den Aufenthalt umso interessanter gestalten. Für mich war es wie die Reise in ein anderes Land, in ein China, das ich so noch nicht kannte und bestätigte mich mal wieder in meiner tiefen Liebe zu diesem Land, das mich einfach jeden Tag aufs Neue zu überraschen versteht. Ich hätte mir kaum einen besseren Schluss für meine Reise aussuchen können. Obwohl die letzten Wochen wohl die ereignisreichsten und spannendsten Tage meines Lebens waren, freue ich mich jetzt auch ein wenig darauf in Kunming anzukommen, wo mich der Frühling mit seiner lachenden Sonne schon erwartet. Und wisst ihr was? Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde ich in meine zweite Heimat zurück kehren.

 

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